Mit Schere, Kamm und einer offenen Art begegnen die Barber Angels bei ihren Einsätzen den Menschen, die wenig oder gar nichts mehr haben. Die Friseure schenken Obdachlosen und Bedürftigen einen kostenlosen Haarschnitt und geben ihnen damit ein bisschen Würde zurück.

Text Lisa Rupp

Einer der ersten schönen, sommer­lichen Tage des Jahres in München ist ein Sonntag. Die Sonne wärmt den Asphalt auf dem Hof des Män­nerheims im William-Booth-Zentrum der Heilsarmee München. An diesem Vormittag sitzen Obdachlose und Bedürftige auf Stüh­len vor dem Haus, genießen das schöne Wetter – und den Luxus eines Haarschnitts. Scheren klappern, eine leichte Frühlings­brise wirbelt eine Haarsträhne auf, die zu Boden fällt. Lachen, schleifende Scherengeräusche, Plaudereien und pustende Föhne übertönen immer wieder das Vogelgezwit­scher.

Haare schneiden für mehr Menschlichkeit

Und dann scheint es zwischendurch immer wieder ganz ruhig zu werden, wenn der Blick in den Spiegel einen neuen Men­schen zeigt: Zuerst ein strahlendes Gesicht, dann wird die Körperhaltung selbstbewusster, der Gang unbeschwert und leicht. Diese Momente schaffen die Friseure vom Verein Barber Angels Brotherhood mit ihren Einsätzen in ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz und mittlerweile auch in den Niederlanden und in Spanien auf Mallorca. Der Verein wurde 2016 vom Figaro Claus Niedermaier ins Leben gerufen. „Kommt, lasst uns die Menschen schön machen!“, sagte er damals zu den Gründungsmitgliedern des Clubs. Ihr gemeinsames Ziel: Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, mit etwas Zeit, netten Gesprächen und einem ordentlichen, kostenlosen Haarschnitt ihr Selbstwertgefühl zurückzugeben.

Obdachlos ohne Perspektive

Dass diese Erfahrung alles ändern kann, beweist die Geschichte von Melanie. Als die Barber Angels vor einem Jahr einen Einsatz in München hatten, wohnte sie im Frauenobdach Karla 51. Mit der Trennung vom Vater ihrer Kinder bekommt das Leben, das sie sich aufgebaut hatte, Risse. Sie findet Zuflucht bei schlechten Freunden mit gutem Stoff, der Melanie damals hilft, die unangenehme Realität zu verdrängen. Sie hatte es selbst nicht für möglich gehal­ten, wie schnell man von einem geregelten Leben in diese Abwärtsspirale gerät. „Ich hatte das komplette Paket mit Drogensucht, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit; Freunde und Familie waren auch weg“, erzählt sie offen. Heute betrachtet sie ihre Vergangen­heit als Teil ihrer persönlichen Glücksge­schichte.

Neue Frisur, neues Selbstbewusstsein, neues Leben

Zum Zeitpunkt, als der Besuch der Barber Angels im Frauenwohnheim angekündigt wurde, war Melanie nur wichtig, ein Dach über dem Kopf zu haben – alles andere war ihr egal. Zum Haareschneiden ging sie aus Langeweile. „Der Moment, als mir die Haare geschnitten wurden, war unbe­schreiblich. Ich hab mich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, als Person und als Frau gefühlt und nicht mehr wie jemand, der nur am Rand steht. Es war einfach toll, wie eine zahlende Kundin behandelt zu werden“, erinnert sie sich. Melanie lacht viel, während sie ihre Geschichte erzählt. Ein Lachen, das zum einen die Freude und zum anderen die Fassungslosigkeit über das eigene Glück ausdrückt. „Als ich dann in den Spiegel geschaut und gesehen habe, dass ich schön aussehen kann, habe ich beschlossen, dass ich etwas ändern muss. Jetzt oder nie!“ Mit dieser neuen Motivation suchte sie nach einem WG-Zimmer und fand eines innerhalb von nur zwei Wochen. Von dort begann die Jobsuche: „Ich weiß es noch: Es war ein Donnerstag, an dem ich aufgewacht bin und gesagt habe, jetzt brau­che ich eine Arbeit!“ Und die findet Melanie nach wenigen Tagen. Mittlerweile arbeitet sie bei einem großen Versicherungsunter­nehmen.

Tina schneidet Melanie die Haare

Gutes tun kann so einfach sein

„Die Begegnung mit Tina von den Barber Angels hat alles verändert. Der Moment, den sie mir da geschenkt hat – Mensch zu sein, weiblich und wertvoll zu sein – den Mut, den sie mir zugesprochen hat, all das lässt sich nicht in Worte fassen.“ Barber­lady Tina lautet der Künstlername der Frau, die Melanie damals die Haare schnitt. Sie ist Gründungsmitglied und Vizepräsidentin der Barber Angels. Sie lebt für das soziale Engagement: „Es ist so einfach, etwas Gu­tes zu tun. Wir tun uns einmal im Monat für ein paar Stunden zusammen und erreichen dadurch, dass Menschen ihren Stolz wie­derfinden. Und schon ein paar Minuten mit einem Bedürftigen auf der Straße zu reden, bewirkt sehr viel.“ Ihre Rolle in Melanies Geschichte sieht sie eher klein: „Ich habe ihr nur einen Schubs gegeben. Alles andere hat sie ganz alleine geschafft.“ An diesem Sonntag sehen sich Melanie und Tina das erste Mal seit dem Haarschnitt vor über ei­nem Jahr. „Nicht weinen!“, sagt Barberlady Tina immer wieder zu Melanie, dann fallen sie sich wieder lachend in die Arme.

Ein Haarschnitt, ein paar nette Worte, ein Lächeln – es ist gar nicht so schwer, die Welt ein bisschen schöner zu machen.

WANTED: Gutes tun und Barber Angel werden!

Die Barber Angels suchen Verstärkung:  Friseure in ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien oder in anderen Ländern, die etwa einmal im Monat Bedürftigen in ihrer Region kostenlos die Haare schneiden möchten, finden alle Infos zur Mitgliedschaft auf: www.b-a-b.club

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