Unser Alltag ist oft stressig und Energie tanken fällt schwer. Expertin Carola Kleinschmidt verrät, welche Schritte helfen, um seelisch trotzdem gesund zu bleiben.
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Unsere Interviewpartnerin Carola Kleinschmidt Foto © Marianne Moosherr
Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin, Wissenschaftsjournalistin und Trainerin für mentale Gesundheit. Die Fähigkeit, sich seelisch stabil zu halten, ist für sie ein wichtiges Nachhaltigkeitsthema. Hier geht es zu Carola`s Blog.
Es ist Dienstag, 11 Uhr, mein bisheriger Tag sah so aus: Aufstehen, meine kleine Tochter fertigmachen, zur Kita radeln, schnell weiter zur Arbeit, Besprechung mit dem Chef, Meeting mit Kollegen, zwischendurch Mails checken, Interview führen. Was kann ich tun, damit ich mich trotz solcher vollen Tage ausgeglichen fühle?
Pausen machen. Führen Sie das Interview nicht länger als verabredet, danach machen Sie die Augen zu und atmen tief durch, spüren in sich hinein, was Sie gerade brauchen: Ist Ihnen kalt? Brauchen Sie einen Tee oder Bewegung? Auch kurze Pausen von fünf Minuten sind äußerst effektiv und wichtig für die seelische Gesundheit.
Warum?
In den Pausen verarbeiten wir, was wir erlebt haben. Wir lassen die Gedanken schweifen, fokussieren auf nichts, können entspannen. Studien belegen, dass das Gehirn nach spätestens 90 Minuten eine Pause benötigt, da wir uns danach nicht mehr konzentrieren können. Nicht ohne Grund sind die meisten Kinofilme oder Fußballspiele auf 90 Minuten angelegt.
Und was passiert, wenn ich mir diese Pausen nicht nehme?
Arbeiten ohne Pause führt oft zu Aktionismus: Man wird unstrukturiert, bleibt länger im Meeting als nötig, bringt Aufgaben nicht zu Ende. Stress führt zu einem Tunnelblick. Aber gerade in stressigen Zeiten braucht es die Adlerperspektive: Sie bedeutet, dass ich mich distanziere und alle To-dos ansehe, prüfe, ob Unerwartetes aufgeploppt ist, ob ich etwas schieben kann. Das gelingt aber nur, wenn ich mir neben den gesetzlich vorgeschriebenen Pausen selbst Minipausen verordne – nach 90 Minuten Arbeit zehn Minuten Pause machen.
Das heißt, ich nutze Pausen, um zu entspannen, aber auch um meinen Tag zu strukturieren und die To-dos zu priorisieren?
Genau. Wenn Sie runtergekommen sind und entspannen, öffnet sich automatisch der Blick für die wichtigen Dinge. Energie ist eine Welle und wir müssen dafür sorgen, dass die Welle schwingt: Auf dem Hoch der Welle können wir dann Leistung bringen, im Tal der Welle reflektieren und achtsam sein.
Energie tanken: kurze Pausen zwischendurch helfen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Foto © F8 Studio via Shutterstock
Was genau meint denn Achtsamkeit?
Im Hier und Jetzt zu sein und sich selbst zu spüren. Wenn wir gestresst sind, sind wir im Außen und darauf ausgerichtet, Anforderungen zu bewältigen. Wie früher in der Urzeit: Lauert Gefahr von außen, haben wir Stress, die Sinne sind gespitzt: Kommt der Chef gleich rein? Klingelt das Telefon? Dieses im Außen sein, führt dazu, dass wir uns nicht spüren, wir machen nur. Das ist ein guter Modus, um Arbeit zu erledigen, aber nicht der Modus, aus dem das Gefühl entsteht, mir geht es gut. Achtsamkeit heißt vom Fokus nach außen auf das Innen umzuschalten. Das ist Übungssache.
Wie kann ich das üben?
Ganz Ungeübten empfehle ich, sich am Anfang stündlich einen Wecker zu stellen, um in sich hineinzuhören, was gerade los ist – ohne zu bewerten. Jeder von uns hat bereits achtsame Momente im Alltag. Wenn ich mit meinem Liebsten auf dem Sofa sitze und an nichts denke. Oder einen Kuchen ohne Rezept backe: den Teig nach Gefühl zubereite, knete und genau die Konsistenz spüre. Da bin ich in dem Moment und denke nicht darüber nach, was ich nachmittags erledigen muss. Achtsamkeit können wir bei Lieblingsbeschäftigungen gut, aber nicht, wenn Aufgaben unangenehm sind. Aber selbst da hilft sie uns, energiezehrende Gefühle wie Wut oder Angst wahrzunehmen und nicht in die Stressspirale zu geraten.
Sie hilft also, Erschöpfung zu vermeiden.
Absolut.
Was sind erste Warnsignale für mentale Erschöpfung?
Warnsignale, auf die man hören sollte, sind, wenn der Partner sagt, du redest nur noch von der Arbeit und lebst dafür. Wenn man abends den Drang hat, noch schnell die E-Mails zu checken, damit sie einen am nächsten Tag nicht überrollen, und man sonst keine Zeit hat für die eigentlichen Aufgaben. Wenn man Ausflüchte sucht, um zu arbeiten, und sich die Arbeit immer weiter ausbreitet, ist das ein Warnsignal, das oft übersehen wird, aber bereits die mittlere Stufe der Erschöpfung darstellt. Die erste Stufe beginnt mit Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, nicht abschalten können, später Grübeleien. Man darf schon mal zwei Wochen wegen eines fordernden Projekts Stress haben, aber es darf kein chronischer Zustand werden.
Stress ist also ok, Dauerstress nicht.
Genau. Das Leben ist nicht da, um uns gar nicht zu belasten. Krankmachender Stress, also Dauerstress, führt dazu, dass die Energiewelle nicht mehr abebbt und ich den ganzen Tag damit beschäftigt bin, den Alltag zu meistern, und nicht mehr runterkomme. Ich renne zur Arbeit, damit ich pünktlich bin oder sogar überpünktlich, damit ich als Mutter zeige, dass ich alles bestens im Griff habe und schaffe. Vor allem Frauen haben dieses Problem, zu rennen und zu rennen, mit der Idee, dass sie erst dann entspannen, wenn alles erledigt ist.
Aber es ist nie alles erledigt …
Nein. Früher kam der Mann von der Arbeit nach Hause, legte sich auf das Sofa und entspannte. Gleichberechtigung wäre, dass beide entspannen, stattdessen entspannt heute keiner mehr. Beide Elternteile sollten versuchen, ihre Energiewelle wieder zum Schwingen zu bringen: Wenn das für die Frau bedeutet, sonntagvormittags Yoga zu machen, dann geht der Mann eben mit den Kindern solange ins Schwimmbad und isst mit ihnen dort zu Mittag – damit ist die Frage hinsichtlich des Kochens auch gleich geklärt. Sich selbst und gegenseitig Freiräume zu schaffen und Pausen zu gönnen, ist wichtig.
Ich ertappe mich dabei, dass ich diese raren Pausen dann oft mit dem Handy verbringe, statt wirklich abzuschalten. Wie lässt sich das vermeiden?
Digitale Medien sind dann ein Problem, wenn ich mich ihnen ausliefere. Der Trick ist, sich zu fragen, was will ich gerade wirklich mit dem Handy machen, und dann zur Akteurin zu werden. Will ich wissen, was meine Freunde machen? Bin ich auf der Suche nach Selfcare-Tipps? So vermeide ich dieses Rumsurfen. Verfällt man in etwas Willenloses, handelt es sich um maskierte Pausen. Ich lege mir für die Handynutzung Zeiten fest: Morgens checke ich etwa meine Lieblings-Accounts, weil sie mir gute Laune machen, mittags recherchiere ich Weihnachtsgeschenke, abends beantworte ich Whatsapp-Nachrichten. So werde ich zur Herrin und nicht mein Smartphone!
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