Im Alter zu wenig Geld zum Leben zu haben, ist ein Albtraum. Für viele Menschen in Deutschland ist das jedoch die Realität. Warum gerade Frauen von Altersarmut betroffen sind.
„Sicher, hundertprozentig bin ich arm,“ sagt Elisabeth Koch im Interview. Zu diesem Zeitpunkt ist die studierte Bauingenieurin 72 Jahre alt. Ihre eigene Rente liegt bei nur 148 Euro, dank Grundsicherung schafft sie es auf insgesamt 1.107 Euro im Monat. Nach Abzug von Miete und Heizkosten bleiben ihr noch 428 Euro. 50 Euro dafür sind für Strom, 60 Euro, um mit ihrer Familie in Rumänien telefonieren zu können, 30 Euro für die Fahrkarte für den Öffentlichen Nahverkehr. Hinzukommen die Kosten für Medikamente, die sie wegen chronischer Schmerzen nach einem Bandscheibenvorfall, Diabetes und Herzproblemen benötigt.
Über ihre problematische Lage sprach Koch, die eigentlich anders heißt, im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen Forschungsprojekts der Ludwig-Maximilians-Universität München zu prekärem Ruhestand. Zwischen 2014 und 2017 führte eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen Interviews mit Frauen im Alter zwischen 60 und 75 Jahren. Daraus ist das Buch „Kein Ruhestand – Wie Frauen mit Altersarmut umgehen“ entstanden. Es gibt Einblick in „die Vielfalt eines zu lange vernachlässigten Problems, der drohenden oder bereits eingetretenen Altersarmut von Frauen aus deren eigener Alltagsperspektive“.
Altersarmut in Deutschland
Von Altersarmut Betroffene wie Koch gibt es in Deutschland viele: Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2022 17,3 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das sind 20,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Aus dem Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes geht hervor, dass Frauen mit 17,8 Prozent häufiger betroffen sind als Männer (16 Prozent). „Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren“, heißt es im Papier. In dieser Altersstufe gelten 19,5 Prozent der Frauen im Gegensatz zu 15,2 Prozent der Männer als arm. Der Verband schlussfolgert: „Insbesondere die Altersarmut ist damit überwiegend weiblich.“
Schon seit 2013 entwickle sich „ein immer ausgeprägteres überdurchschnittliches Armutsrisiko“ für Rentnerinnen und Rentner, seit der Coronakrise verstärkt sich dieses jedoch. Während in der Pandemie viele Maßnahmen für Berufstätige ins Leben gerufen wurden, kritisiert der Verband: „So gut wie keinerlei Anstrengungen wurden jedoch unternommen, auch jenen unter die Arme zu greifen, die bereits in Armut waren.“ Dazu kamen 2021 steigende Lebenshaltungskosten. Die Verfasser des Armutsberichts stellen fest: „Das Ergebnis ist eine mit der Inflation fortschreitende Vertiefung der Armut.“
Warum trifft Altersarmut vor allem Frauen?
Zurück zu Elisabeth Koch. Ihre Biografie ähnelt der anderer Frauen in ihrem Alter: „Scheidung, Ausreise aus dem Heimatland, wegen besonders intensiver Familienarbeit nur geringe Zeiten der Berufstätigkeit, noch dazu kann sie in Deutschland nicht mehr im studierten Beruf Fuß fassen.“ Außerdem leidet sie an chronischen Erkrankungen „und jetzt, im Ruhestand, ist sie fast vollständig mittellos und angewiesen auf staatliche Unterstützungsleistungen, auf eine monatliche Geldsumme, die nach Abzug aller Fixkosten kaum zum Leben reicht.“
Eine wichtige Rolle auf dem Weg in die Altersarmut, das zeigt dieses Beispiel, spielen die Erwerbsbiografien und das deutsche Rentensystem. Das setzt sich aus gesetzlicher Rentenversicherung, privater Altersvorsorge sowie betrieblicher Altersversorgung zusammen und orientiert sich an „lebenslanger Vollzeit“. Die Regelungen zu Rentenansprüchen, formulieren die Forscherinnen, begünstige Männer, die nach dem traditionellen Familienmodell in der Nachkriegszeit als Alleinernährer galten und oftmals bis heute gelten. Dieses Modell, „die männlich dominierte Ein-Ernährer-Familie, die durch diverse Steuer-, Familien- und Sozialgesetzgebungen politisch unterfüttert wurde“, verdrängte die Frauen in den 50er-Jahren aus der Erwerbstätigkeit. Die Forscherinnen stellen fest: Bis in die 1970er-Jahre „sollten die Frauen am Wiederaufbau dergestalt mitwirken, dass sie vor allem im Sinne des Wachstums – und auch als Bollwerk gegen den Kommunismus – Kinder bekamen, diese bei deren Ausbildung unterstützten und dem Ehemann im Übrigen für die Modernisierung der Nachkriegsgesellschaft den Rücken freihielten“. In den Wohlstandsjahren sorgten steigende Gehälter der Männer erst recht dafür, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Erst mit den Modernisierungsbewegungen 1968 etablierte sich die Teilzeitarbeit, mit deren Hilfe Care-Arbeit und Lohnarbeit vermeintlich vereinbar wurden. Teilzeit sei seit den 80ern „ein Synonym für weibliche Erwerbsarbeit“ geworden. Doch sie „erwies sich nicht nur als Chance, sondern, karrierestrategisch und rententechnisch gesehen, als Falle“.
Noch heute ist dieses Modell für Familien, aufgrund steuerlicher Vorteile, attraktiv. Hinzu kommt, dass es vielerorts – trotz rechtlichem Anspruch – an Kinderbetreuungsplätzen mangelt. Weil in vielen Fällen Männer mehr verdienen, ändert sich an der Rollenverteilung in der Realität leider nur wenig. Und das wird Frauen – spätestens im Alter – zum Verhängnis: Durch die Arbeit in Teilzeit, in weniger gut bezahlten Jobs oder schlicht wegen Benachteiligung beim Lohn aufgrund des Geschlechts zahlen weibliche Arbeitnehmerinnen oft weniger in die gesetzliche Rente ein. Um Care- und Lohnarbeit zu vereinen, entscheiden sich viele außerdem für vermeintlich unkomplizierte, geringversicherungspflichtige Minijobs und erhalten dann besonders kleine Renten. So setzt sich die Gender-Pay-Gap in Form der Gender-Pension-Gap im Alter fort. Laut Statistischem Bundesamt betrug das „geschlechtsspezifische Gefälle bei den Alterseinkünften“ 2021 fast 30 Prozent, zieht man hiervon Einkünfte ab, die manche Frauen aus einer Hinterbliebenenrente bekommen, liegt der Unterschied gar bei 42,6 Prozent. Aktuell wäre die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, die private Vorsorge. Die jedoch können sich nicht alle leisten.
Wer gilt als arm?
Behörden arbeiten hierzulande mit einem relativen Armutsbegriff. Als arm gelten entsprechend einer EU-Konvention Menschen, die so wenige finanzielle Mittel haben, „dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“. Die Armutsschwelle 2022 lag demnach für Singles ohne Kinder bei 1.250 Euro netto.
Armutsfaktoren für Frauen
Hat sich eine Familie für das Ein- oder Eineinhalb-Ernährer-Modell, bei dem die Frau gar nicht, halbtags oder auf 450-Euro-Basis tätig ist, entschieden und es kommt zur Scheidung, ist diese ein Armutsfaktor für Frauen. Denn die Rentenpunkte des Ehepartners, die übertragen werden, reichen in der Regel nicht aus.
Ein weiteres geschlechtsspezifisches Risiko sind Frühverrentungen wegen berufsbedingter Erkrankungen: „Insbesondere die ‚weiblichen‘ Care-Berufe mit ihrer hohen Arbeitsverdichtung in Krankenhäusern oder Altenheimen sind davon betroffen,“ informiert das Forschungsteam. Weiter führt es aus: „Frauen – und zwar aus allen Milieus – sind von einem prekären Ruhestand besonders bedroht, wenn sie im Alter von nur einem Haushaltseinkommen leben.“ Dass weibliche Personen trotz Partnerschaft alleine alt werden, ist keine Seltenheit: „Frauen leben, statistisch gesehen, länger, pflegen häufig ihre Partner, haben aber am Ende selbst oft keine solche partnerschaftliche Unterstützung zu erwarten“. Allgemein lasse sich feststellen, dass sich im Alter soziale Unterschiede, Geschlechts-, Einkommens- und Bildungsunterschiede, aber auch ethnische Diskriminierungen verstärken und verschränken.
Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen
Frauen – aber auch Männer –, die in Altersarmut leben, sind längst keine Einzelfälle, sondern ein strukturelles Phänomen. Zumindest für die Kulturwissenschaftlerinnen sind die Ursachen klar: „Insgesamt sind im Abbau des Sozialsystems wie auch des sozialen Wohnungsbaus in den Städten sowie in der Deregulierung des Arbeitsmarktes mit seinen vielen gering versicherten Jobs die zentralen Problemfelder zu sehen“. Dem könne man nur mit einer grundsätzlichen Reformierung des Rentensystems begegnen. Das fordert auch der Paritätische Wohlfahrtsverband: Nötig sei eine „Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung inklusive der Erwerbsminderungsrenten als allgemeine Bürgerversicherung mit armutsfester Mindestrente“. Essenziell sei eine „konsequente Mietpreisdämpfungspolitik“. Das LMU-Projekt spricht sich zudem für mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Abschaffung des Ehegattensplittings und bessere Arbeitsbedingungen aus. Die Wissenschaftlerinnen betonen: „Es müssen auch auf Ebene der Bundespolitik spezifische Förderinstrumente und Angebote für ältere Frauen, insbesondere für solche mit Mehrfachdiskriminierungen, entwickelt werden“.
Klar ist: Das Problem der Altersarmut wird sich nicht von selbst lösen. Im Gegenteil: Die Tagesschau berichtet, dass eine Anfrage der Fraktion Die Linke an das Bundesarbeitsministerium 2023 ergab, dass jede dritte Frau nach 40 Jahren Erwerbstätigkeit in Vollzeit eine Rente von weniger als 1.000 Euro netto erhalten wird. Demnach droht 2,7 Millionen Frauen, 38 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, Altersarmut. Zunehmen wird sie gerade in Großstädten. Der Münchner Armutsbericht prognostiziert, dass bis 2035 jede dritte Person ab 65 Jahren in der bayerischen Hauptstadt unterhalb der Armutsschwelle leben wird.
Finanzberatung für Frauen
Wer sich über (nachhaltige) Finanzen und Vorsorgemöglichkeiten explizit für Frauen informieren möchte, findet zum Beispiel hier Beratungsangebote:
Eine Möglichkeit, für das Alter vorzusorgen, sind Anlagen und Fonds. Wie du nachhaltig investierst, erfährst du zum Beispiel im Finanz-Guide von Greenpeace.
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