Corona bei Tönnies und in anderen deutschen Schlachtbetrieben: Nach Gammelfleisch und Pferde-Lasagne ein weiterer Skandal um die Fleischindustrie. Das fehlerhafte System beginnt bereits bei der unwürdigen Haltung der Tiere und endet auf den Tellern der Verbraucher.

Text Daniela Fricke

Eine gefüllte Fleischtheke im Supermarkt dank Massentierhaltung

Gefüllte Fleischtheken mit günstigen Angeboten: Vielen fehlt der Bezug zum Tier. Foto: Karamo via Pixabay

Massentierhaltung ist in aller Munde. Zumindest bei denen, die sich nicht vegetarisch oder vegan ernähren. Denn 98 Prozent der in Deutschland konsumierten Fleischprodukte stammen von Tieren, die ihr kurzes Leben unter nicht artgerechten und teilweise grausamen Bedingungen in Massentierhaltung verbracht haben. Doch die Folgen dieser Tierquälerei im großen Maßstab betreffen nicht nur die Tiere, sondern uns alle. Inwiefern sich Massentierhaltung negativ auf die Tiere, uns Menschen, die Umwelt und das Klima auswirkt, nehmen wir in diesem Artikel genauer unter die Lupe. Außerdem zeigen wir Lösungsansätze für mehr Tierwohl in den Ställen auf und informieren darüber, was jede und jeder einzelne gegen Massentierhaltung tun kann.

Massentierhaltung: Definition

Obwohl Massentierhaltung zunehmend kritisch gesehen wird und Gegenstand vieler Debatten ist, gibt es keine klare Definition für diesen Begriff. Auf Wikipedia wird er folgendermaßen beschrieben: „Intensive Tierhaltung, Intensivtierhaltung, Massentierhaltung oder Industrielle Tierhaltung bezeichnet die technisierte Viehhaltung meist nur einer einzigen Tierart in ländlichen Großbetrieben mit nicht ausreichend verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen, um die benötigten Futtermittel selbst zu erzeugen. Das primäre Ziel ist dabei die größtmögliche Erhöhung des erwirtschafteten Ertrages.“

Drastischer formuliert könnte man aber auch sagen, dass bei dieser Haltungsform auf das Tierwohl zugunsten möglichst geringer Produktionskosten konsequent verzichtet wird. Dass auch das Wohl der Menschen, die in der Fleischindustrie beschäftigt sind, nicht allzu viel zählt und dem Profit untergeordnet wird, haben die Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben wie Tönnies, Wiesenhof oder Westfleisch allein in Deutschland eindrücklich bewiesen.

Zahlen und Fakten zur Massentierhaltung

Laut Albert Schweitzer Stiftung leben und sterben in der Massentierhaltung allein in Deutschland etwa 763 Millionen Tiere pro Jahr (Stand: 2019). Fische sind in dieser enormen Zahl noch nicht einmal enthalten. Den Angaben des BMEL-Ernährungsreport 2020 zufolge betrug die Nettoerzeugung (Schlachtmenge) von Fleisch im Jahr 2019 etwa 8,6 Millionen Tonnen Schlachtgewicht, der geschätzte Pro-Kopf-Verzehr lag bei 59,5 Kilogramm. Damit hat der Fleischkonsum zwar weiter leicht abgenommen, dennoch stehen Fleisch und Fleischprodukte bei 26 Prozent der Deutschen weiterhin täglich auf dem Speiseplan.

Getötete Küken

Da männliche Küken wirtschaftlich nicht rentabel sind, werden sie in vielen Betrieben unmittelbar nach dem Schlupf getötet. Foto © A. Farkas-afi / Deutscher Tierschutzbund e. V.

Zur Anzahl der geschlachteten Tiere gesellt sich eine hohe Dunkelziffer von gezielten Tötungen. Bestes Beispiel: Männliche Küken, die anders als ihre weiblichen Geschwister nicht als Legehennen taugen und im Vergleich zu eigens dafür gezüchteten Masthähnchen auch nicht schnell genug Fleisch ansetzen. 45,3 Millionen wurden 2019 vergast oder geschreddert.

Lesen Sie mehr zum Thema in unserem Artikel Artgerechte Hühnerhaltung.

Die Folgen der Massentierhaltung

Massentierhaltung hat viele negative Folgen. In erster Linie natürlich für die Tiere. Hinzu kommen die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt und aufs Klima. Unsere Gesundheit ist ebenfalls betroffen – sei es durch die Entstehung antibiotikaresistenter Keime oder durch die Begünstigung sogenannter Zoonosen, also Krankheitserregern, die wie das Corona-Virus ursprünglich von Tieren stammen und dann auf den Menschen übergegangen sind.

Tiere als geschundene Billigfleischlieferanten

20 Hühner auf einem Quadratmeter, Muttersauen, die in Kastenhaltung wochenlang fixiert werden und sich nicht bewegen können, Mastschweine, die ihr Dasein in großer Enge auf Spaltenböden verbringen ohne jemals das Tageslicht zu sehen – eine artgerechte Tierhaltung sieht anders aus. Die Bedürfnisse der Tiere spielen keine Rolle, es geht einzig und allein darum, möglichst viel Fleisch auf möglichst kleiner Fläche in möglichst kurzer Zeit zu produzieren.

Fotos © A. Farkas-afi; Deutscher Tierschutzbund e. V.

Aus diesem Grund sind Rinder, Schweine und Hühner auch auf Leistungsmaximierung gezüchtet. Ein Küken, das beim Schlüpfen etwa 42 Gramm wiegt, hat nach nur 35 Tagen sein Schlachtgewicht von rund 1,6 Kilogramm erreicht. Das Skelettwachstum der Tiere kann bei der schnellen Gewichtszunahme nicht mithalten, sodass viele deformierte Knochen haben weil sie ihr eigenes Gewicht nicht tragen können. Schweinen ergeht es ähnlich, auch sie nehmen bis zur Schlachtung im Alter von sechs Monaten etwa 100 Kilogramm zu, leiden in dieser kurzen Lebenszeit an Gelenkentzündungen, Stoffwechselstörungen und Herzerkrankungen.

Umweltbelastung durch zu große Düngemengen

In Regionen wie Niedersachsen, wo besonders viele Nutztiere in riesigen Tierfabriken gehalten werden, ist das Grundwasser aufgrund der enormen Mengen von Gülle und Mist, die dabei anfallen, stark mit Stickstoff belastet. Zu viel Stickstoff kann erhebliche Auswirkungen auf Ökosysteme haben, die Biodiversität beeinträchtigen und das Artensterben fördern. Außerdem ist die organische Überdüngung aufgrund der dabei freigesetzten Lachgasemissionen schädlich fürs Klima. Lachgas ist ein Treibhausgas, dessen Klimawirksamkeit 265-mal stärker ist als die von Kohlendioxid.

Abholzung der Regenwälder für den Soja-Anbau

Um das Schlachtgewicht möglichst schnell zu erreichen, werden Hühner, Schweine und Rinder in der Massentierhaltung mit eiweißreichem Sojaschrot gemästet. 80 Prozent der weltweiten Sojaproduktion werden laut WWF dafür mittlerweile verwendet. Für den steigenden Sojabedarf werden immer mehr Ackerflächen benötigt, was auf Kosten der Regenwälder geht. Durch deren Abholzung werden wertvolle Lebensräume für nur dort vorkommende Tierarten zerstört, riesige Mengen Kohlenstoff freigesetzt und der Klimawandel so verstärkt und beschleunigt.

Buchtipp:

Bestsellerautor Jonatahn Safran Froer hinterfragt in seinem Buch Tiere essen, aus welchem Grund wir Tiere essen und wie wir sie auswählen. Für seine Recherchen spricht er mit Akteuren und führenden Experten, konsultiert einschlägige Studien und bricht nachts auf Tierfarmen ein, um sich ein Bild von der Realität zu machen.

Tiere essen • Jonathan Safran Foer

S.Fischer Verlag • 2012 • 13 Euro (D)

Antibiotikaresistente Keime

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sterben in Deutschland jährlich mehr als 2000 Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen. Die Entstehung solcher Erreger wird dadurch begünstigt, dass in der Massentierhaltung große Mengen Antibiotika zum Einsatz kommen. Vor allem in der Geflügelmast ist dies gängige Praxis, dort werden zudem vielfach sogenannte Reserveantibiotika verabreicht, die eigentlich nur dann verwendet werden sollen, wenn andere Antibiotika wirkungslos sind.

Treibender Faktor für Zoonosen wie SARS-CoV-19

Zoonosen sind Krankheiten, die von Wirbeltieren auf den Menschen übertragen werden. Jüngstes Beispiel: SARS-CoV-19, besser bekannt unter dem Namen Corona-Virus, das eine weltweite Pandemie verursacht hat, mit deren Folgen wir wohl noch lange zu kämpfen haben werden. Auch wenn vermutet wird, dass dieses Virus ursprünglich von einem Wildtier – wahrscheinlich von einer Fledermausart – stammt, wird die Entstehung von Zoonosen zumindest indirekt von unserem Fleischkonsum und der Massentierhaltung begünstigt: Da immer mehr Regenwälder für den Anbau der Futtermittel vernichtet werden, schwindet nämlich der natürliche Lebensraum für Tierarten, die sonst nie in Kontakt mit Menschen gekommen wären. Viren, die für diese Tiere harmlos sind, können für den Menschen allerdings äußerst bedrohlich sein.

Junge Schweine in Massentierhaltung gedrängt

Keine Spur von Tierwohl und artgerechter Haltung: Effiziente Viehwirtschaft sieht in Tieren häufig nur ein Produkt.
Foto von Hans Braxmeier via Pixabay

Wissenschaftler weisen aber auch darauf hin, dass die Massentierhaltung selbst potenziell eine Brutstätte für Zoonosen sei, weil die Tiere dicht an dicht auf engstem Raum gehalten werden.

Mehr Tierwohl in der Massentierhaltung

Was müsste sich ändern, damit das Tierwohl auch bei intensiver Haltung gewährleistet werden kann? Zum einen ist da natürlich die Politik gefragt, wichtige Handlungsfelder wären Kampagnen zur Sensibilisierung der Bevölkerung für das Tierleid und den eigenen Fleischkonsum, Gesetzesinitiativen für bessere Haltungsbedingungen, die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Art der Haltung und die gezielte Förderung einer ökologischen und tiergerechten Landwirtschaft. Zum anderen sind wir bei diesem Thema jedoch alle in der Pflicht. Denn solange wir uns beim Einkaufen weiter für Billigfleisch entscheiden, wird sich an den Haltungsbedingungen nur wenig ändern. Außerdem funktioniert eine Verbesserung nur, wenn wir alle deutlich weniger Fleisch essen.

Buchtipp:

Cover Fleischatlas2018

Die Heinrich Böll Stiftung bringt regelmäßig Atlanten mit spannenden Zahlen und Fakten zu umweltpolitischen Themen. Der Fleischatlas 2018 erklärt anschaulich und leicht verständlich, wie es um die Tierhaltung steht. Gleichzeitig bietet er Strategien und Lösungsansätze, um die Umstände für Mensch und Tier zu verbessern. Die Atlanten gibt es zum kostenlosen Download auf der Internetseite der Heinrich Böll Stiftung.

Herausgeber sind neben der Heinrich-Böll-Stiftung der BUND und Le Monde Diplomatique.

Was tun gegen Massentierhaltung?

Man kann es gar nicht oft genug sagen: Unser Einkaufsverhalten hat einen direkten Einfluss darauf, wie die Nutztiere hierzulande gehalten werden. Billiges Fleisch ist nur deshalb so günstig, weil bei der Produktion massiv am Tierwohl gespart wurde. Je mehr Menschen sich bewusst für teureres Biofleisch entscheiden, desto größer der Handlungsdruck für die Fleischindustrie. Zudem sollte Fleisch wie zu Zeiten unserer Großeltern wieder etwas Besonderes sein und nicht täglich verzehrt werden. Noch besser wäre es natürlich, wenn sich noch mehr Menschen dafür entscheiden würden, auch auf den Sonntagsbraten zu verzichten, um sich stattdessen vegetarisch oder vegan zu ernähren. Leckere Rezepte gibt’s in jeder Ausgabe von green Lifestyle.

Wer noch mehr tun möchte, kann Tierschutzorganisationen mit einer Spende beim Kampf für mehr Tierwohl unterstützen oder Mitglied werden. Hier einige Beispiele für Organisationen, die sich gegen Massentierhaltung stark machen:

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