Glutenfrei prangt wie ein Gütesiegel auf immer mehr Lebensmitteln. Das erleichtert Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit, auch Zöliakie genannt, die strenge Diät. Wer gesund ist, sollte das Klebereiweiß jedoch nicht verbannen …

Etwa 800 000 Menschen in Deutschland leiden an Zöliakie – einer Glutenunverträglichkeit. Betroffene reagieren mit teils heftigen Beschwerden auf den Verzehr von Gluten – einem Protein, das in heimischen Getreidesorten vorkommt. Grund dafür ist eine chronische Systemerkrankung des Dünndarms.

Wenn Weizen krank macht; Foto © Andrey_Popov via shutterstock.com

Im Dünndarm sind die Zotten los

Was auch immer wir essen und trinken, wird im Dünndarm in seine Bestandteile zerlegt. Über die Dünndarmschleimhaut werden dann die Nährstoffe aufgenommen und dorthin weitergeleitet, wo der Körper sie benötigt. Damit dieser Bereich möglichst effektiv arbeitet, finden sich auf der Dünndarminnenseite Millionen sogenannter Zotten. Diese feinen, nur millimetergroßen Ausstülpungen vergrößern die Gesamtfläche zur Nährstoffaufnahme um ein Vielfaches.

Gluten, das in den meisten Lebensmitteln aus und mit heimischen Getreidesorten vorkommt, kann bei Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit nicht verarbeitet werden. Im Gegenteil: Die Abwehrmechanismen des Körpers halten das Klebereiweiß für einen unerwünschten Eindringling und greifen es an. Es kommt zu einer Entzündung im Darm. Mit der Zeit verkümmern dadurch die Zotten und bilden sich zurück, sodass Nährstoffe nicht mehr richtig aufgenommen werden können. Das führt zu unterschiedlichen Symptomen: Durchfall, starke Bauchkrämpfe und Gewichtsverlust treten beispielsweise auf. Ebenso können Hautirritationen, Müdigkeit und Gelenkschmerzen Anzeichen für eine Glutenunverträglichkeit sein. Reaktionen auf die Entzündung im Darm sowie Folgen der geringeren Nährstoffversorgung kommen als Tippgeber ebenfalls infrage. Andere bekommen von der Krankheit gar nichts mit. Zu Recht wird die Zöliakie auch als Chamäleon der Medizin bezeichnet – ihr Erscheinen ist wechselhaft. Das macht die Erkrankung so tückisch. Nicht nur, dass Betroffene unter einer fehlenden oder falschen Diagnose leiden – die gesundheitlichen Folgen durch den Nährstoffmangel können schwerwiegend sein.

Deshalb ist eine glutenfreie Ernährung für Zöliakie-Erkrankte unausweichlicher Bestandteil der Therapie. Selbst, wenn kaum Beschwerden nach dem Verzehr von beispielsweise Bier, Brot oder Nudeln auftreten. Denn nur so kann sich die Dünndarmschleimhaut regenerieren und die Mineralstoffe und Vitamine aus der Nahrung in ausreichender Menge aufnehmen.

Der Hype um die Glutendiät

Der Trend um glutenfreie Lebensmittel kommt Betroffenen gerade recht. In Supermärkten wächst das Angebot an Alternativprodukten, die ohne das Klebereiweiß auskommen. Rezeptbücher, speziell auf die Ernährungsform ausgerichtet, und Foodfluencer zeigen, wie lecker und kreativ es glutenfrei in der Küche zugehen kann. Der Hype um den Verzicht ist da: Bye bye Gluten! Hallo, neues, gesundes, besseres Leben!

Influencer senden oftmals falsche Signale. Menschen, die nicht konkret mit einer Glutenunverträglichkeit diagnostiziert wurden, sollten Gluten nicht komplett vom Speiseplan streichen; Foto © Dragana Gordic via shutterstock.com

Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Wer keine diagnostizierte Glutenunverträglichkeit hat, sollte Gluten nicht verbannen. In einem Online-Beitrag des Universitätsklinikums Freiburg äußert sich der Gastroenterologe und Leiter der Darmambulanz Dr. Peter Hasselblatt dazu: „Viele Menschen gehen davon aus, dass Gluten ungesund ist, und hoffen auf allgemein gesundheitssteigernde Effekte der Diät wie Gewichtsverlust oder einen Schutz für die Herzkranzgefäße. Eine aus diesem Grund durchgeführte langfristige Umstellung der Ernährung ist nicht zu empfehlen: Sie ist teuer und kann sogar gesundheitsschädlich sein!“ 2017 wurde eine US-amerikanische Studie veröffentlicht, bei der rund 45 000 Männer und 65 000 Frauen über 30 Jahre hinweg alle vier Jahre zu ihrem Gesundheitszustand befragt wurden. Während Menschen, die sich sehr glutenreich ernährten, ebenso gesund wie der Durchschnitt waren, zeigten jene mit glutenarmer Ernährung vermehrt Herzerkrankungen. Eine mögliche Erklärung dafür könnte der Verzicht auf Vollkornprodukte sein, die bei einer Glutendiät nicht mehr auf dem Speiseplan stehen.

Diagnose: Glutenunverträglichkeit?

Selbst beim Verdacht auf Zöliakie sollte nicht eigenmächtig auf Gluten verzichtet werden, denn das erschwert die Diagnose. Dazu wird bei einer Dünndarmspiegelung eine Gewebeprobe entnommen und untersucht. Damit die eindeutigen Anzeichen für eine Glutenunverträglichkeit gemessen werden können, muss mindestens drei Monate vor der Untersuchung Gluten in üblichen Mengen verzehrt werden. Andernfalls können die Werte zu einer Fehldiagnose führen. Zudem ist nicht jede Reaktion auf Getreideprodukte ein Anzeichen auf Zöliakie. Die sogenannte Nicht-Zöliakie-Gluten-Weizen-Sensitivität verursacht ebenfalls Beschwerden. So schwammig wie der Name ist auch die Studienlage zu dieser Symptomatik. Ernährungsexperten warnen deshalb davor, eine Diät zu verordnen, wenn keine eindeutige Diagnose vorliegt, die einen Verzicht rechtfertigt.

Bei Auffälligkeiten jeder Art gilt deshalb: medizinischen Rat einholen und abklären, welche Therapie Besserung verspricht!

Da steckt Gluten drin:

  • Weizen

  • Roggen

  • Dinkel

  • Gerste

  • Grünkern

  • Khorasan-Weizen

  • Einkorn

  • einige Bulgur-Sorten

Oft ein Irrglaube, doch auch in Dinkelprodukten wie Dinkelspaghetti steckt Gluten; Foto © Edith Frincu via shutterstock.com

Hafer ist zwar von Natur aus glutenfrei, wird jedoch bei der Weiterverarbeitung häufig kontaminiert. Wer strikt auf Gluten verzichten muss, sollte daher auf Produkte zurückgreifen, deren Herstellungsprozesse Gluten komplett ausschließen können.

Quellen: Deutsche Gesellschaft für Zöliakie e. V. (DZG), Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB), Universitätsklinikum Freiburg, Studie: Long-term gluten consumption in adults without celiac disease and risk of coronary disease: prospective cohort study, British Medical Journal, Mai 2017

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